Ich sehe mich nicht als Wissenschaftlerin, die auch in der Praxis arbeitet, sondern als Praktikerin mit Leib und Seele, die die heilende Ordnung, die sie in ihren intuitiv geleiteten Erfahrungen und denen vieler anderer Praktiker erkannte, in eine wissenschaftliche Sprache, nämlich in passende Konzepte der Gesundheitspsychologie, übersetzt hat. Die dabei entstandene Doktorarbeit wurde 2008 als Buch veröffentlicht.
Aus übergreifender Sicht betrachtet, zeichnet sich hinter den unterschiedlichen Phänomenen und Methoden von Selbstheilung ein gemeinsames Prinzip ab, das sich konzeptuell als Salutogenese durch Selbstverwirklichung beschreiben lässt. Dabei ist der Begriff der Salutogenese meta-theoretisch über die Arbeiten des Soziologen Aaron Antonovsky hinauszudenken, und Selbstverwirklichung als eine spezielle Bewegung menschlicher Selbstbestimmung entlang des wahren Selbst zu verstehen (siehe Abbildung).
Zum Nachvollziehen der theoretischen Darlegung bedarf es keines Glaubens an eine höhere Macht und keiner spirituellen Erweckungserfahrung, sondern nur freudigen Verstandes. Gleichwohl kann man bei entsprechender Geneigtheit das zentrale Konzept der Selbstverwirklichung stets auch transzendent verstehen (ohne dabei zwangsläufig an spirituelle Gipfelerlebnisse denken zu müssen, auch wenn diese enorm vitalisieren können). Der Charakter transzendenter Selbstverwirklichung steht und fällt also damit, wie weit der Bezugsrahmen gesteckt ist, in dem sich eine Person innerlich bewegt. Grundsätzlich kann jeder – unabhängig von seiner Weltanschauung – sein wahres Selbst spüren (lernen) und sich daran orientieren.
Die wissenschaftliche Formulierung des Prinzips Salutogenese durch Selbstverwirklichung ist untrennbar mit der Frage verbunden, was wir unter Gesundheit verstehen wollen und wie wir diese beeinflussen. Dafür habe ich in meiner Dissertation (Buchbeschreibung und Leseprobe) die konzeptuellen und empirischen Vorarbeiten der Gesundheitspsychologie ausgewertet und an ihrer Grenze (also dort, wo sie beim Erhellen des Einflusses der Persönlichkeit auf die Gesundheit widersprüchliche Ergebnisse zutage fördert) mit dem spannenden und hochpräzisen Wissen der Quantenphysik über Ganzheit verknüpft.
So vollzog ich innerhalb des gesundheitspsychologischen Denkrahmens einen längst überfälligen paradigmatischen Wechsel: Ich löste mich von der immer noch vorherrschenden Unterteilung des Menschen in zwei unabhängige Bereiche von Geist und Körper, die auf den Philosophen René Descartes im 17. Jahrhundert zurückgeht. Im Einklang mit der modernen Physik und erkenntnistheoretischen Überlegungen beschreibe ich eine untrennbare Einheit. In dieser stellt sich die Frage des Leib-Seele-Dualismus (wie denn ein Gedanke eine Veränderung auf atomarer Ebene bewirken könne?) nicht, da es in der Einheit von Geist und Körper keinen zurückzulegenden Weg gibt. Verknüpft mit dem von mir skizzierten triadischen Konzept der Selbstverwirklichung, können sowohl langsames als auch schnelles Entstehen und Vergehen von Symptomen gesundheitspsychologisch verstanden werden.
Mit dem beschriebenen Paradigmenwechsel erweitern sich unsere Einflussmöglichkeiten auf Gesundheit auf eine enorme Weise! Er sprengt unser altes Denken und ergänzt das bisherige Wissen zur Förderung von Gesundheit.
Herkömmliche Präventionskurse und Ratgeber der Krankenkassen vermitteln das richtige Verhalten in Bezug auf Stress, Ernährung, Hygiene, UV-Schutz etc., während die Denkfigur „Salutogenese durch Selbstverwirklichung“ die Frage nach einer stimmigen Lebensführung aufwirft. Symptome werden als unangenehme, aber nützliche und unbestechliche Wegweiser angesehen, um zurück zum ureigenen Weg zu finden oder auf diesem die nächste Kreuzung zu meistern. Dieser Weg schließt nicht aus, dass man auf seine Ernährung und andere Faktoren achtet, aber man kann ihn durchaus verfehlen, wenn man nach dem perfekten Gesundheitsverhalten strebt und dabei den tieferen Kontakt zu sich selbst übergeht.
Manches von dem, was (im Falle einer Erkrankung) auf diesem Weg der Selbsterkenntnis und Selbstheilung ansteht, werden Menschen in ihrem gewohnten inneren Bezugsrahmen verwirklichen können und für anderes müssen sie – den Ausgang ihrer Bedrängnis oder Krise suchend – den inneren Bezugsrahmen vielleicht erweitern oder sogar wechseln. Wir können durchaus in gewohnten Räumen wachsen; doch manchmal führt uns der nächste Schritt über diese hinaus in neue Räume hinein. Hat man die Angst vor dem Neuen erstmal überwunden, stellt sich oft sogar Dankbarkeit ein.
Das ganz oben verlinkte Buch enthält einen wichtigen Exkurs, in dem die scheinbare Normfreiheit der salutogenetischen Forschung kritisch hinterfragt und der Gesundheits-Krankheits-Zustand des deutschen Volkes (unter Rückgriff auf die bis heute bestehende Blockaden bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und seiner psychodynamischen Grundlage) neu beleuchtet wird. Hinter (steigende Zahlen von) Krankheit zu blicken, das kann auf individueller wie auf kollektiver Ebene durchaus unbequem sein.
Der Exkurs (S. 109 - 128) ist nicht nur für die interessant, die an den (verdrängten) Kriegstraumata ihrer Eltern und Großeltern trugen und tragen, sondern für jeden von uns, der sich schon mal geschämt, ängstlich geduckt und/ oder versucht hat, die Schuld für sein Missbefinden auf jemand anderen abzuwälzen.
Zwei Jahre nach Veröffentlichung der Dissertation verfasste ich den Tagungsbeitrag Selbstliebe als entscheidende Patientenkompetenz. Nach einer kurzen theoretischen Einführung behandelt er den liebevollen Umgang mit Scham, Schuldgefühlen, Wut und Zweifeln. (Selbst-)Verurteilungen helfen niemandem weiter, erst recht nicht im Leid. Auch die Frage nach Erbkrankheiten, Behinderungen und Katastrophenopfer wird kurz gestreift.
Weitere sieben Jahre später komprimierte ich die zentralen Leitgedanken der Dissertation auf wenige Seiten. Einerseits mussten dafür natürlich Herleitungen, Beispiele, Zitate und Exkurse weitgehend entfallen. Andererseits entstand so ein Überblick, der bei der Lektüre des Gesamtwerkes oder der Auffrischung der Erinnerung helfen kann. Mir diente er als Ausgangspunkt für eine spanischsprachige Präsentation für die offizielle Anerkennung an der Universität Autónoma de Madrid. Bis dahin hatte es nur eine kurze Inhaltsangabe auf Spanisch gegeben.
Zum Schluss dieser Einführung in die verschiedenen Beiträge sind noch die Aspekte Vielfalt und Respekt zu betonen:
1. Vielfalt: In meinen wissenschaftlichen Äußerungen steht kein bestimmtes Verfahren der Selbstheilung im Mittelpunkt. Selbstheilung ist hochgradig divers! Das Prinzip Salutogenese durch Selbstverwirklichung kann sich auf verschiedene Weisen ausdrücken, ohne dass beide Begriffe fallen müssen. Die Begriffe dienen nur zur meta-theoretischen Verständigung über den gemeinsamen Nenner verschiedener Wege der Selbstheilung und deren empirischer Überprüfung.
2. Respekt: Verallgemeinernde Kataloge, die Symptome in verbale Sprache übersetzen, können zwar inspirieren, aber auch in die Irre führen oder – vorschnell auf andere angewandt – verletzen. In meinen wissenschaftlichen Beiträgen liste ich keine Deutungen auf. Jedes Individuum kann anlässlich seiner Symptome grundsätzlich selbst erspüren, was in ihm (unerhört) nach Leben ruft. Die Hinwendung zu sich selbst ist kein rein mentaler Prozess, sondern erfordert geduldige Bereitschaft, sich voll und ganz auf sich selbst einzulassen.
Für die Praxis empfehle ich einen Weg konkreter, kleiner Schritte. Man braucht spürbare Gänsehaut-Momente und Erfolgserlebnisse und schon geht die Reise etwas leichter weiter. Dies gilt auch und erst recht, wenn Menschen merken, dass ihre Lebenszeit abläuft. Auch das Sterben gehört zum Leben. In der Reduktion der verbleibenden Möglichkeiten liegt eine Chance: Konzentration auf das Wesentliche und Ablegen einengender Haltungen.
Manche Ratsuchende berichten, es tue ihnen gut, ergänzend zur praktischen Arbeit ihre Gedanken mithilfe der in diesem Artikel genannten wissenschaftlichen Beiträge zu sortieren, auch wenn es keine leichte Kost sei. Sie picken sich immer mal wieder das heraus, wozu sie gerade eine innere Resonanz fühlen. Anderen steht danach nicht der Sinn.
Die Lektüre ist auch keine Voraussetzung für die Telefonsitzungen. Im Gegenteil lautet das Anliegen ja nicht selten, in den endlosen Raum hinter den tyrannisierenden Gedanken einzutreten. Manche verlieren dabei die Angst vor dem Tod. In dem Moment, da man sich nicht mehr mit dem Verstand identifiziert, sondern ihn nur noch als ein Instrument benutzt, wandelt sich das Leben.
Für Fragen und Anregungen stehe ich gerne über das Kontaktformular zur Verfügung.
Innerhalb der Dissertation und der Folgeartikel, die oben im Fließtext verlinkt wurden, finden sich genaue Quellenangaben. Auf eine wiederholende Aufarbeitung der Literatur wurde in dieser überblicksartigen Einführung zugunsten eines leichteren Leseflusses verzichtet.
Letzte Modifikation: 15. Juni 2024
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